Frauen in Nicaragua

Frauen in Nicaragua – das sind die Wasserverkäuferinnen an den
Ampeln, mit ihren sonnenverbrannten lachenden Gesichtern. Aber

auch die schicken Studentinnen, die schwangeren
Minderjährigen oder die Polizistinnen. Frauen in Nicaragua – das sind
die Hausangestellten und Kindermädchen der reichen Familien.

Das ist die bettelnde alte Frau, klein und krumm stand sie

vor meinem Zaun und versuchte, unser „Schwätzchen“ ins

Unendliche zu ziehen. Oft erinnere ich mich an eine Unbekannte,

die mich auf offener Straße ansprach und mir ernsthaft eines

ihrer Kinder schenken wollte. Dazu gehören die Folklore-Tänzerinnen

mit großen, farbenfrohen Blumenkämmchen im schwarz glänzenden Haar...

 

Frauen in Nicaragua – Schönheit und Elend, Armut und Lebensfreude
dicht beieinander. So wie seine Frauen ist ganz Nicaragua voller
Gegensätze:


1979 machte das kleine Land in Mittelamerika mit einer großen
Revolution weltweit von sich reden. Nach jahrelangem, opferreichem
Kampf gelang es der sandinistischen Bewegung, eine der ältesten
Diktaturen auf dem amerikanischen Kontinent abzuschaffen. Damit
nicht genug: In den folgenden Monaten brachte die FSLN soziale
Projekte auf den Weg, die die vier Millionen Einwohner des Landes,
ja die ganze Welt polarisierten. Wer konnte neutral bleiben, wenn
beispielsweise 1980 Tausende nicaraguanische Jugendliche ihre
Landsleute vor allem im ländlichen Raum Lesen und Schreiben
lehrten?


Vor dieser fünfmonatigen Alphabetisierungskampagne war die

Hälfte der erwachsenen Bevölkerung analphabet, danach nur noch
12 Prozent, wofür Nicaragua im selben Jahr von der UNESCO der
Alphabetisierungspreis „The Nadezhda K. Krupskaya Prize for
Literacy“ verliehen wurde.

 

Menschen überall in der Welt brachten dem Land auf seinem mutigen
Weg damals Sympathie entgegen - oder bitteren Hass. Die Regierung
der USA verhängte eine Wirtschaftsblockade gegen Nicaragua. Wer
konnte neutral bleiben, wenn die Reagan-Administration zugleich
eine Contra-Bewegung militärisch und finanziell unterstützte, die
das Land in den Bürgerkrieg stürzte? Er kostete zehntausende
nicaraguanische Menschen das Leben. 1990 endete diese historische
Etappe mit der Wahl-Niederlage der FSLN. Es folgten drei neoliberale
Regierungsperioden. Nach langen Jahren in der Opposition sind
die Sandinisten seit 2007 nun wieder an der Macht – gespalten,
verändert. Nur nicht an der personellen Spitze.

 

Frauen in Nicaragua – ich habe unter ihnen jahrelang mit meiner
Familie gelebt, habe mit ihnen viel gelacht, auch gelitten mitunter. Mit
ihnen gearbeitet. Gern erinnere ich mich an unzählige Begegnungen mit

Frauen verschiedener Altersgruppen, aus extrem unterschiedlichen
Bevölkerungsschichten, in allen Landesteilen Nicaraguas - sei es als
Freundin oder Kollegin, sei es als fremde Ausländerin.


Wer in Managua heute einem Einheimischen sagt, dass er oder sie aus
Deutschland kommt, muss mit verschiedenen Reaktionen rechnen:
Manchmal wurde ich bedauert, weil Deutschland gerade irgendein
wichtiges Fußballspiel verloren hatte. Ich erinnere mich aber auch
daran, dass mich mehrere Leute in Nicaragua beglückwünschten, als
ein Deutscher im fernen Rom zum Papst ernannt worden war.
Wenn ich in Nicaragua sagte, dass ich aus Deutschland komme,
musste ich immer auch auf die Frage gefasst sein: „Aus welchem
denn?“ Habe ich darauf geantwortet, dass es seit 1990 nur ein
Deutschland gäbe, wurden die freundlichen Nicaraguaner ungeduldig
und erklärten mir, dass sie das natürlich auch wüssten, aber woher
ich denn nun käme: „Aus dem demokratischen Deutschland oder aus
der Bundesrepublik?“ Auf meine Antwort, ich sei in der DDR geboren,
bekam ich oft zu hören: Mein Sohn wurde in der DDR an den Augen
operiert, meine Tochter im Krankenhaus „Carlos Marx“ in Managua
entbunden. Meine Frau hat in Leipzig studiert...

 

Frauen sind der Dreh- und Angelpunkt der Familien in Nicaragua. Oft
bekommen sie sehr jung ihr erstes Kind. Im Laufe ihres Lebens

werden es mehr, mitunter sehr viele Kinder, die sie verschiedenen

Männern „halten“, wie es im nicaraguanischen Spanisch ausgedrückt

wird. Das ist weniger der tatsächlich unglaublichen Lebensfreude

der Nicaraguanerinnen geschuldet, es liegt wohl eher am sorglosen

Verhältnis vieler nicaraguanischer Männer zu ihren Frauen und Kindern.

Wenn die Männer die Familie verlassen, schlagen sich die Frauen

häufig eine Weile allein mit ihren Kindern durch, verdienen den

Lebensunterhalt, organisieren den Alltag und unterstützen sich

dabei tatkräftig gegenseitig. Viele Kinder wachsen bei Tanten auf

oder bei ihren Großmüttern, die allerdings oft nicht älter als

europäische Mütter sind! Nach einer Trennung finden die meisten

Frauen bald einen neuen Partner, dem sie weitere Kinder
„schenken“.

 

NicaraguanerInnen erzählen gern und freimütig. Ab einem bestimmten
Zeitpunkt war ich nicht mehr ohne Aufnahmegerät und Kamera
unterwegs. Mein Buch „Kometensplitter“ spiegelt einen kleinen
Ausschnitt dieser Arbeit wider. Die darin veröffentlichten Interviews vermitteln
Einblick in verschiedene Bereiche des Alltags: Ich sprach mit den
Frauen über ihre Kindheitserinnerungen, ihre Erfahrungen in der
Familie, im Beruf, mit den Männern… Fragte sie nach ihren Idealen,
Wünschen, Träumen. Die mir ganz bekannt vorkamen, manchmal.

 

Sechs Frauen in Nicaragua stellt das Buch vor: Nineth - eine
Künstlerin, María Teresa - eine Ingenieurin, Lillian – die Koordinatorin
einer Nichtregierungsorganisation, Elisabeth – unsere Bibliothekarin,

Carmen - eine Heilpraktikerin und María Elena - eine Rechtsanwältin.

 

Elisabeth und ihr Lebenswerk, die Deutsch-Nicaraguanische

Bibliothek, stellt auch der Film

 

„Mit revolutionären Grüßen“ (D, 2013)

 

des Regisseurs Viktor Apfelbacher von FLORIANFILM

in berührenden Bildern vor:


Der 52minütige Dokumentarfilm erzählt über Nicaragua,

über Land und Leute, dabei vor allem über die Bibliothekarin

Elisabeth Zilz.


Das Filmteam begleitete den Bücherbus „Bertolt Brecht“,

der ein wichtiger Teil von Elisabeths Projekt ist,

bei seinen Fahrten durch Nicaragua – in die Gefängnisse,

dörflichen Gemeinden, Schulen…

 

http://www.fernsehworkshop.de/2013/Filme/mitrevolutionaerengruessen.htm