Der wundersame Sommer,

in dem du geboren wurdest

Monolog mit meinem Enkel

Johannes Alejandro in Nicaragua

Es war ein richtig heißer Sommer. Viel gebadet habe ich. In der Wostra, im Senftenberger See, in der Ostsee. Im Mittelmeer sind etwa 100 Menschen ertrunken. Zeitweise fast täglich. Nicht beim Baden allerdings. „Absaufen“ kreischten in unserer schönen Heimatstadt ein paar Lumpenproletarier. Hässliche Lumpen vor barocker Kulisse. Die Schiffe, die die Menschen vorm Absaufen bewahren wollten, durften den reichen Hafen Europa nicht verlassen. Wer es doch wagte, gilt auf unserer Festung als Verbrecher. Mir nicht. Ein ohnmächtiges Gefühl der Wut lähmte mich. Genauso wie die Gedanken an Alvarito und all´ die anderen Toten in unserer anderen Heimat. Einige schöne Partys feierten wir in diesem Sommer. Wir tanzten in den heißen Nächten, tranken wenig, aber lachten viel. Über deine Ankunft in unserem Kreis haben wir uns ganz besonders gefreut. Sie wurde nicht abgewartet, aber da bist du, mein liebes Hänschen, und trinkst dir MUT an. MUTtermilch. Mein kleines Kind verwandelte sich über Nacht in eine MUTter. Deine Mama. Mitten in diesem Sommer. Vor Aufregung konnte ich zwei Nächte kaum schlafen. In der ersten haben sie dich herausgeleitet. In der zweiten wusste ich immer noch nicht, wie du heißt und wie es dir geht. Am Tag dazwischen fühlte ich mich sehr glücklich. Ich wusste, du bist da. Da irgendwo. Am Ostseestrand sehnte ich mich Richtung Westen. Du bist nun der Mittelpunkt der Welt. Du bist nicht allein. 60 Babys wurden in einem Eine-Million-Menschen-Flüchtlings-Camp in Bangladesh geboren. Am selben Tag wie du. So wie jeden Tag. Von Monsun und Schlammlawinen bedroht. Auch ich war diesen Sommer in Asien. Schlenderte über den Arbat von Vladivostok mit Maxim – mit von Prinsen vollem Munde Puschkins Ende diskutierend. Mit Anja, seiner klugen Frau, tauschte ich mich über chinesische Studierende aus. Bei ihr lernen sie Russisch, bei mir Deutsch. Dank Julia sah ich Ibsens fernöstliche „Nora“. Gleichgesinnte kannst du auf der ganzen Welt finden. So ein Glück wünsche ich dir auch. In Vladivostok blickte ich gen Osten in eure Richtung und war euch genauso nah. Dir und Deiner Mama. Statt Urlaub machte ich diesen Sommer eine Fotoausstellung: „AllesKönnerInnen – Frauen der Welt bei ihrer Arbeit“. Gärtnerin, Professorinnen, Verkäuferinnen, Ärztin… Ein Foto zeigt eine blonde junge Frau, Studentin, vorübergehend Vollzeit-Mutter – genau wie deine Mama. Ihr Kind auf ihrem Arm ist – genau wie du - nicht blond. Deshalb darf ich das Foto von Mutter und Kind in Dresden in der Ausstellung nicht zeigen. Der Vater, ein Ingenieur aus Benin, hat es untersagt, aus Angst. Es gibt viel zu tun. Meine nächsten Projekte stehen fest. Sie heißen „Wir leben vom Wunder“ und „Die Welt ist wunderschön“. Wenn wir das noch nicht ganz geschafft haben, bis du groß bist, Johannes, hilfst du dann mit? Das wäre wunderbar.

 

Katja Ullmann

August 2018